'Karate' - Die Seele Okinawas
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Karate - Die Seele Okinawas

Sven von Känel

Sven von Känel

Veröffentlicht am 19.07.2025

Auf den Koralleninseln Okinawas entsprang im 18. Jahrhundert eine außergewöhnliche Kampfkunst. Was aus den drei Te-Traditionen („Hand“) Shuri-te, Tomari-te und Naha-te hervorging, sollte schließlich als „Karate“ die Welt erobern. Doch bevor es soweit war, formten engagierte Meister mit Hingabe, Ausbildung und Charakter die Grundlagen dieser Kunst – und damit eine Lebensphilosophie.

1. Wurzeln in Shuri, Tomari und Naha

In Shuri, dem Königssitz, entstand Shuri-te – klare, schnelle, lineare Techniken. In der Hafenstadt Tomari entwickelten sich Tomari-te – fließend, flexibel. Und in der geschäftigen Handelsstadt Naha etablierte sich Naha-te – kraftvoll, atemzentriert. Diese regionalen Ausprägungen bildeten das Fundament der heutigen Karateschulen.

2. Sokon „Bushi“ Matsumura – der königliche Wegbereiter

Geboren 1809, zeigte sich Matsumura schon als Jugendlicher außergewöhnlich begabt für Kampfkünste – besonders als Schüler von Sakukawa Kanga, der ihn fünf Jahre trainierte. Später wurde er Leibwächter von drei Königen Okinawas, studierte Schwertkampf (Jigen-ryū) in Satsuma und Chuan Fa in China. All das verschmolz in seinem Stil.

Matsumura entwickelte oder überlieferte viele Kata, darunter Naihanchi, Passai, Kusanku, Gojushiho, Seisan, Chinto – Elemente, die große Bedeutung für das moderne Shorin-Ryu und Shotokan haben.

Ein Anekdote unterstreicht sein Ansehen: Er erhielt den Ehrentitel „Bushi“ (Krieger) vom König, weil er niemals in Duellen bezwang wurde.

3. Die Brücke zwischen Stilen – Matsumora, Itosu, Kyan

In Tomari lehrte Matsumora Kosaku ein beweglicheres Te – sein Stil beeinflusste später Kyan Chotoku und Motobu Choki. Zaboliforme Beweglichkeit im Kampf – sein Erbe prägt heute noch Tomari-basierte Schulen.

Anko Itosu, Schüler Matsumuras, brachte Karate in die Schulen Okinawas und modernisierte Katas wie Pinan – sein Wirken ist essentiell für die Entwicklung des modernen Karate .

Chotoku Kyan trainierte bei Matsumura und Matsumora zugleich. Seine Kunst: „maximaler Effekt, minimaler Aufwand“. Er verband Schnelligkeit, Präzision und taktische Intelligenz und wurde einer der einflussreichsten Meister Okinawas. Kyan baute keine eigene Schule, seine Schüler aber gründeten mehrere – darunter Shimabukuro.

4. Vom Schüler zum Stilgründer – Zenryō Shimabukuro

Geboren 1908 in Shuri, begann Shimabukuro als Bäcker in Chatan und fand ab 1932 zehn Jahre lang bei Kyan seinen Lehrer. Nach dem Krieg lehrte er in seinem Haus – zunächst im Geheimen, schließlich gründete er 1962 offiziell das Seibukan („Heilige Kunst-Schule“) Dojo.

Sein persönlicher Stil war direkt, traditionell und tief verwurzelt in seinen Vorgängern. 1964 erhielt er den 10. Dan des All-Okinawa Karate-Verbands. Bis zu seinem frühen Tod 1969 (durch eine Blinddarmentzündung auf einer Reise) etablierte er sich als eine führende Stimme Okinawas.

Seibukan wurde Zeichen für eine traditionelle und geistige Praxis: Karate als Weg zur Selbstveredelung, nicht nur Kampfkunst.

5. Zenpō Shimabukuro – Brückenbauer nach Westen

Zenpō (geboren 11. Oktober 1943) wuchs in Karate auf – mit dem Ziel, das Erbe fortzuführen. Early 1960er ging er in die USA (Philadelphia) und gewann Kata- und Kumite-Wettbewerbe, darunter bei Jhoon Rhee (USA) und in Kanada.

1966 kehrte er nach Okinawa zurück, führte das Seibukan-Dojo mit seinem Vater und übernahm nach dessen Tod die Leitung. 1975 gründete er die Internationale Seibukan Okinawa Karate-Do Association. Seitdem reist er weltweit, um genaues, traditionelles Seibukan weiterzuvermitteln. Sein Ziel: Kombination von Itosu- (Pinan) und Kyan-Lehren in einem System.

6. Seibukan heute – das lebendige Erbe

Seibukan ist ein Zweig der Shōrin-Ryū‑Familie – explosive wie geschmeidige Bewegungen, natürliche Atmung, Hüftrotationen vom Shiko Dachi in den Tsenkutsu Dachi und schräge Faust . Sein Curriculum beinhaltet Kyan-Kata (Seisan, Ananku, Wansu etc.) und Itosu-Kata (Pinan, Passai etc.), sowie eigens entwickelte Elemente wie Wanchin .

Das Honbu Dojo existiert weiterhin in Jagaru, Okinawa, mit internationaler Präsenz – in Europa, Amerika, Asien. In Deutschland führt Sensei Jamal Measara (10. DAN DKV) die Tradition fort. Seibukan versammelt Karatekas, die Geist, Haltung und Technikhistorie vereinen wollen.

Heute steht Seibukan für gelebte Okinawa-Tradition: klare Linie, tiefe Atmung, geistige Reifung. Karate, verstanden als Lebensweg – Karate-dō im wahrsten Sinne.

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