Einsteigerkatas im Okinawa Karate
Karate 4 min. Lesezeit

Einsteigerkatas im Okinawa Karate

Sven von Känel

Sven von Känel

Veröffentlicht am 22.07.2025

Fukyu Kata Ichi und Ni – Einsteiger-Katas im Okinawa Karate

Hintergrund: Entstehung der Fukyugata in Okinawa

Im Okinawa-Karate gelten die Formen Fukyu Kata Ichi, Fukyu Kata Ni und Fukyu Kata San als wichtige Einführungs- oder Anfänger-Katas. „Fukyu“ (普及) bedeutet so viel wie Verbreitung oder Popularisierung – diese Katas wurden also entwickelt, um Karate leicht zugänglich zu machen. Ihre Entstehung geht auf eine Initiative im Jahr 1940 zurück, als der Gouverneur von Okinawa (General Hayakawa) eine Kommission beauftragte, einfache Grundkata für Anfänger und Schulsport zu schaffen. Zwei renommierte Meister aus unterschiedlichen Stilrichtungen erhielten den Auftrag: Shoshin Nagamine aus dem Shuri-te/Shorin-Ryu-Zweig und Chojun Miyagi aus dem Naha-te/Goju-Ryu-Zweig. Nagamine entwickelte die Fukyu Kata Ichi, Miyagi steuerte die Fukyu Kata Ni bei. Diese beiden Kata wurden 1941 offiziell eingeführt und dienten dazu, grundlegende Techniken stilübergreifend zu vermitteln. Später entstand noch eine dritte Einsteiger-Kata namens Fukyu Kata San, die allerdings einen Sonderfall darstellt und nicht von allen Schulen übernommen wurde. Im Folgenden schauen wir zuerst die Fukyugata Ichi und Ni im Detail an – ihre stilistischen Wurzeln, ihre Schöpfer, seit wann sie geübt werden und weitere interessante Fakten. Zu Fukyugata San folgt ein eigener Artikel.

Fukyugata Ichi (Ⅰ) – Die erste Anfänger-Kata

Stilrichtung/Ursprung: Fukyugata Ichi entstammt der Shorin-Ryu-Tradition (Shuri-te). Sie wurde vom Matsubayashi-Ryu-Begründer Shoshin Nagamine entwickelt, um Anfängern einen leichten Einstieg in die Prinzipien des Shorin-Ryu-Karate zu ermöglichen.

Entstehung & Meister: Nagamine schuf diese Kata im Jahr 1940 auf Bitte der Okinawa-Kommission und benötigte dafür nur wenige Monate. Es ist bemerkenswert, dass dies die einzige Kata ist, die Nagamine in seinem Leben selbst kreierte. Anfang 1941 wurde Fukyugata Ichi offiziell eingeführt und in vielen Okinawa-Stilen als erste Grundkata gelehrt.

Merkmale & interessante Details: Fukyugata Ichi umfasst 21 Bewegungen. Sie ist bewusst einfach gehalten und enthält nur wenige grundlegende Techniken mit geschlossener Faust: vor allem Gedan-uke (Tiefblock), Tsuki (Fauststoß) und Age-uke (Aufwärtsblock). Als Stände werden hauptsächlich Moto-Dachi (natürlicher Stand) und Zenkutsu-Dachi (Vorwärtsstand) benutzt. Die Kata folgt einer symmetrischen Linienführung in acht Richtungen (embusen), was Anfängern das Lernen erleichtert. Fukyugata Ichi demonstriert zentrale Shorin-Ryu-Prinzipien – zum Beispiel das Schrittarbeit-Timing (Schritt und Technik), den Hüfteinsatz für Kraftübertragung und kurze Ausholbewegungen. Eine Besonderheit in Nagamines Ausführung ist die Verwendung eines geraden Standes (choku-dachi), was damals unüblich war und die Einfachheit der Form unterstreicht. Insgesamt dient diese Kata als solide Grundlage: Anfänger erlernen hier die fundamentalsten Abwehr- und Angriffstechniken sowie Bewegungsabläufe des Karate-Do.

Fukyugata Ni (Ⅱ) – Die zweite Anfänger-Kata

Stilrichtung/Ursprung: Fukyugata Ni entstammt der Goju-Ryu-Tradition (Naha-te). Ihr Schöpfer ist Chōjun Miyagi, der Gründer des Goju-Ryu-Karate. In Miyagis eigenem Stil ist diese Form unter dem Namen Gekisai Dai Ichi bekannt. „Gekisai“ bedeutet etwa „zerstören/vernichten“, was auf den ersten Blick kämpferisch klingt – Miyagi wählte den Namen jedoch, um den Kampfgeist und das Selbstvertrauen der Jugend in schwierigen Zeiten zu stärken (1940 stand der Pazifikkrieg bevor).

Entstehung & Meister: Miyagi entwickelte Fukyugata Ni ebenfalls um 1940 im Zuge derselben Initiative des Gouverneurs. Sie wurde parallel zu Nagamines Kata 1941 eingeführt. Miyagi hatte zwei Hauptziele bei der Konzeption: Zum einen sollte die Kata der geistigen und körperlichen Entwicklung dienen, zum anderen die Popularität des Karate steigern. Wichtig war ihm, dass diese Form für jedermann geeignet ist – unabhängig von Alter oder Fitness. Fukyugata Ni galt als etwas anspruchsvoller als Ichi, da sie sich primär an fortgeschrittene Schüler (z.B. Oberschüler) richtete.

Merkmale & interessante Details: Die Kata ist nahezu identisch mit Gekisai Dai Ichi aus dem Goju-Ryu. Sie enthält kräftige Basistechniken und typische Goju-Ryu-Elemente: starke Block- und Kontertechniken, oft mit voller Hüftrotation und Einsatz des gesamten Körpers. Ursprünglich wird in Goju-Ryu dabei der Stand Sanchin-Dachi (stabiler „Drei-Kampf-Stand“) genutzt, der für seine Spannung und Kraftentwicklung bekannt ist. In der allgemeinen Fukyugata-Version wurde dieser jedoch durch einen natürlicheren Stand (Moto-Dachi) ersetzt, um ihn stilübergreifend einfacher zu machen. Fast alle Bewegungen werden symmetrisch nach links und rechts ausgeführt, was dem Übenden hilft, beide Körperseiten gleichmäßig zu schulen. Miyagi integrierte in diese Form auch Konzepte des Werfens und Haltens – so enthält Fukyugata Ni Anwendungen (Bunkai), die Fassen und Werfen des Gegners üben. Insgesamt lehrt diese Kata etwas fortgeschrittenere Prinzipien als Fukyugata Ichi: Die Techniken sollen mit voller Geschwindigkeit und Kraft ausgeführt werden, um Stärke und Entschlusskraft zu fördern. Bis heute wird Fukyugata Ni in vielen Dojos praktiziert, teils unter ihrem Goju-Ryu-Namen. Goju-Ryu-Karateka lernen darüber hinaus meist noch Gekisai Dai Ni (Miyagis zweite Anfängerform von 1940), während Shorin-Ryu-Praktizierende oft die Fukyugata Ichi & Ni als Duo übernehmen, um sowohl Shorin- als auch Goju-Grundlagen kennenzulernen.

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